Das Jahr ohne Sommer - Cover

Weggehen und Ankommen

Das Jahr ohne Sommer von Constanze Neumann

„Als ich klein war, lebte ich in einem Land, das es nicht mehr gibt.“ Der erste Satz aus Constanze Neumanns zweitem Roman Das Jahr ohne Sommer macht einwandfrei neugierig auf die nächsten Seiten. Es geht um das Verlassen einer Heimat, um woanders eine neue zu finden und wie sich nach dem Fall der Mauer wieder alles verändert. Aus Sicht eines Kindes erfahren wir, was es bedeutet, alles aufzugeben, um woanders neu anzufangen. Dabei ist die autobiografische Geschichte alles andere als kindlich erzählt.

Im geteilten Deutschland schienen 40 Jahre lang zwei ganz unterschiedliche Länder nebeneinander zu liegen. Die Grenze war 26 Jahre lang nahezu undurchlässig. Einige Menschen überwanden sie dennoch. Die Familie von Constanze Neumann stellte bereits in den 70-er Jahren einen Ausbürgerungsantrag. Es folgte die Inhaftierung der Eltern, bis die BRD sie freikaufte. Die Autorin konnte als Kleinkind das Ausmaß der Entscheidung ihrer Eltern noch nicht erfassen. Dennoch spürte sie, dass sich in ihrem Leben etwas veränderte. Im Rückblick erzählt die in Leipzig geborene und in Aachen aufgewachsene Autorin über das Leben bei den Großeltern und den Umzug nach Westdeutschland. Sie berichtet von Freundschaften in der Schule und wie sie den Mauerfall erlebte. Gleichzeitig vermisste sie den restlichen Teil ihrer Familie, der sie nun erst recht nicht mehr besuchen durfte. Lediglich in den Ferien erhielt die Schülerin eine Besuchserlaubnis. Die Tonalität entspricht dabei einer sechsjährigen, ohne dabei Wesentliches wegzulassen. Sie schildert die Reaktionen von Erwachsenen auf das treuherzige Erzählen des Umzugs. Als Leser weiß man diese natürlich zu deuten.


Das Thema ist schon aus zeitgeschichtlicher Sicht spannend. Daher habe ich die Möglichkeit, ein Interview mit Constanze Neumann zu führen, gerne angenommen. Ihr könnt es im Podcast anhören.

Podcast


Constanze Neumann lässt aber noch weitere Einblicke zu, was die Behandlung der DDR-Regierung mit ihrer Familie gemacht hat. Es ist ein Bericht, ohne Wut oder Schuldzuweisung, der betroffen macht und nachfühlen lässt, wie sich die Menschen in dieser Diktatur fühlten. Wir lesen von der Inhaftierung der Eltern und dass diese die Mutter über Jahre hinweg beeinträchtigt hat. Die Schikanen der Staatssicherheit hatten definitiv Nachwirkungen. Man kann sich aus den Informationen vorstellen, was passiert war und welche Auswirkungen das auch auf Kinder von politischen Häftlingen haben konnte.

Als einige Jahre die Mauer fiel und der Staat aufgelöst wurde, änderte sich auch das Umfeld. Während vorher kaum jemand etwas über die Bewohner der östlichen Bundesländer wusste, unterstellte man ihnen nun einen schwächeren Bildungsstand und sie erfuhren teilweise einen arroganten Umgang. Auch das ist im Podcast ein Thema gewesen. Eine Grenzöffnung ist eben nur ein Anfang zur Wiedervereinigung. In jedem Fall ist der autobiografische Roman ein wertvoller Beitrag zur zeitgeschichtlichen Aufarbeitung und damit ein Lesetipp.

Leseprobe

Constanze Neumann, Autorin, Porträt

Constanze Neumann, geboren in Leipzig, studierte Anglistik, Romanistik und Germanistik. Sie lebte mehrere Jahre in Palermo und arbeitete dort als Übersetzerin. Zuletzt erschien von ihr der Roman Wellenflug.  (Quelle: Ullstein Verlag)


#Anzeige#

  • Herausgeber: ‎Ullstein Hardcover
  • erschienen am 14. März 2024
  • Gebundene Ausgabe: ‎192 Seiten
  • ISBN-13: ‎978-3550202292

Das Rezensionsexemplar wurde mir vom Ullstein Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. Meine Meinung hat es nicht beeinflusst.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..