Mrs. England - Cover

Ruby Mays Trauma

Mrs. England von Stacey Halls

Yorkshire, 1904. Ruby May lehnt das Angebot ab, mit der Familie, für die sie als Kindermädchen arbeitet, nach Amerika mitzugehen. Sie bittet daher die Schulrektorin des Norland Institutes, Miss Simpson, ihr eine neue Familie zu vermitteln. Diese wird im Hardcastle House in Yorkshire gefunden. Lilian und Charles England haben vier Kinder, um die sich Ruby nun kümmern muss. Schon beim Eintreffen hat sie das Gefühl, dass etwas merkwürdig ist. Dieses wird noch verstärkt, nachdem sie Mrs. England kennenlernt. Sie scheint wie benommen und desinteressiert an ihren Kindern.

Romane von Stacey Halls beschreiben eine vergangene Zeit mit der dazugehörigen Gesellschaft. In diesem Fall berichtet die Ich-Erzählerin über ihre Tätigkeit als Kindermädchen in wohlhabenden Häusern im Edwardianischen Zeitalter. Ihre Stellung ist höher als die der anderen Bediensteten, sodass sie nur schwer Kontakt zu ihnen findet. Sie fühlt sich allein, kann es sich aber nicht leisten, die Schulleitung erneut um eine andere Stelle zu bitten. Hingebungsvoll kümmert sie sich um die Kinder und unterstützt auch die Eltern, wo sie kann. In winzigen Schritten wird deutlich, dass die Mutter ein seelisches Leiden hat, über das natürlich nirgends geredet wird. Halls Schreibstil schafft es allerdings, dass dieser Umstand gar keine weiteren Erklärungen bedarf. Von Kapitel zu Kapitel kann man sich als Leser mehr in Rubys Welt einfühlen und findet sich auch in ihrer eigenen Lebensgeschichte zurecht. Man erahnt, dass nicht nur Mrs. England geprägt wurde, sondern auch Ruby. Beide Lebensgeschichten sind notwendig, um sich gegenseitig zu ermutigen.

Machtverteiltung in den Gesellschaftsschichten

Die Geschichte wird langsam und leise erzählt. Nicht nur das merkwürdige Verhalten der Familie, sondern auch die Gesellschaft wird wie schon in Die Verlorenen und Die Vertraute genau unter die Lupe genommen. Die Veränderungen nach dem Viktorianischen Zeitalter sind schon spürbar. Frauen bekommen langsam mehr Eigenständigkeit, jedoch ist das gesellschaftliche Gefälle zwischen den Schichten unübersehbar. Was den einen zugestanden wird, wird bei den anderen hart bestraft. Rubys Trauma befähigt sie auf der einen Weise, rechtzeitig Schaden von den Kindern der Englands abzuwenden, allerdings lässt es sie auch schnell überreagieren. Die sich überschlagenden Emotionen werden feinfühlig verbalisiert. Es entsteht dabei eine Spannung, sodass man den historischen Roman nicht mehr weglegen möchte.

Mrs. England von Stacey Halls ist eine leise erzählte Geschichte über das Kindermädchen Ruby, dass seinen Weg trotz ihres Traumas meistert. Es werden die Gesellschaftsschichten zur Zeit König Edward VII. dargestellt und psychische Gesundheit und deren Behandlung thematisiert. West-Yorkshire ist wegen seiner Abgeschiedenheit als Handlungsort perfekt gewählt. So wird die unglaubliche Handlung plausibel. Das Nachwort klärt übrigens über die Historie und dichterische Freiheit auf. Wie alle anderen Romane der Autorin bekommt auch dieses von mir eine unbedingte Leseempfehlung.

Leseprobe

Stacey Halls - Autorin
© Ollie Grove

Stacey Halls, geboren 1989, wuchs in Rossendale, Lancashire auf. Neben einem Studium in Journalismus schrieb Halls u.a. für den GuardianPsychologies und The Independent. Ihr erster Roman war in England das meistverkaufte Debüt 2019 und gewann den Betty Trask Award. Schon jetzt wird Stacey Halls als neue Stimme des authentischen historischen Romans gefeiert. „Die Verlorenen“ ist ihr zweiter Roman. (Quelle: Piper Verlag)


#Anzeige#

  • Herausgeber: ‎Piper
  • erschienen am 3. Mai 2024
  • Broschiert: ‎384 Seiten
  • ISBN-13: ‎978-3492065405
  • Originaltitel: ‎Mrs England

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..