Zeit der Schuldigen - Cover

Mörder in Freiheit

Zeit der Schuldigen von Markus Thiele

Hambühren, 1981. Ein entsetzliches Verbrechen ist geschehen: Die 17jährige Nina Markowski wurde auf brutale Weise umgebracht. Schnell hatte man einen Tatverdächtigen festgenommen, auf den alle Spuren zeigten. Volker März wurde von Nina wegen eines anderen verlassen und fiel immer schon durch sonderbares Verhalten auf. Erstaunlicherweise entschied sich das Gericht aber für einen Freispruch. Ninas Vater Hans kämpft seither für eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Erst drei Jahrzehnte später gibt es einen Lichtblick, nachdem mit fortgeschrittener Technik eindeutig die DNA von März nachgewiesen werden konnte. Es kommt zu einem weiteren Prozess und zu einem erneuten Freispruch.

Markus Thiele greift in seinem vierten Roman erneut einen wahren Kriminalfall auf, passt ihn an einigen Stellen an und kombiniert ihn mit einem zweiten. In Summe ergibt das einen Thriller, den man so schnell nicht mehr aus der Hand legt. Dieses Mal lehnt sich der Hauptteil an den Fall von Frederike von Möhlmann an, die 1981 bei Celle vergewaltigt und erstochen wurde. Der Täter konnte nicht überführt werden. Schon allein die Vorstellung, was die Hinterbliebenen durchmachen, macht betroffen. In diesem Roman wird der Leser langsam mit der Situation vertraut gemacht und wer bereits den Klappentext gelesen hat, ahnt bei jeder Seite, dass das Verbrechen unmittelbar bevorsteht. Es werden allerdings drei Zeitebenen erzählt, sodass man auch immer mal wieder aus der Situation herausgerissen wird und neue Informationen aus den Jahren 2012 und 2022 bekommt. Dabei wird deutlich, wo die Grenzen eines Rechtsstaates sind.

Ninas Schicksal macht betroffen. Umso ungläubiger liest man die Erklärungen der Verteidigung, die den fiktiven Angeklagten tatsächlich vor dem Gefängnis bewahren. Zugrunde liegt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass mutmaßliche Mörder nicht erneut vor Gericht gestellt werden können, wenn sie einmal rechtskräftig freigesprochen wurden. Selbst als eindeutige DNA-Ergebnisse vorliegen, hat der Angeklagte kein Geständnis abgelegt. Das entspricht übrigens der Wahrheit. Nervenaufreibend schildert Thiele die Anspannung der Beteiligten. Erst beim zweiten Gedanken bemerkt man auch die Verantwortung, die seinerzeit auf den Richtern gelegen haben muss, in diesem Fall zu entscheiden. Die Nebenhandlung um die Polizistin Anne Paulsen ist umso verständlicher, wenngleich auch nicht akzeptabel. Selbstjustiz kann nicht die Lösung in einem Rechtsstaat sein.

Zeit der Schuldigen von Markus Thiele ist ein spannender Thriller, der die deutsche Rechtsprechung aufzeigt und hinterfragt. Ein freigesprochener Mörder sollte in unserer Gesellschaft in keiner Satzkombination möglich sein. Dass dies aber Realität sein kann, zeigt der Fall Frederike von Möhlmann aus dem Jahr 1981. Die der Wahrheit angelehnte Handlung wurde mit fiktiven Figuren lebendig geschildert. Mein Urteil: Unbedingter Lesetipp.

Leseprobe

© Marion Talmeier

Der Jurist und Schriftsteller Markus Thiele studierte an der Georg-August-Universität in Göttingen und arbeitet seit 2000 als promovierter Rechtsanwalt. Spezialisiert auf Arbeits- und Baurecht, vertritt er Mandanten in der gesamten Republik. Seine Erfahrungen im Gerichtsaal prägen ihn genauso wie sein großes Interesse an gesellschaftlichen Entwicklungen. 2020 erschien sein Debütroman Echo des Schweigens. Er ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Göttingen. (Quelle: Lübbe Verlag)


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  • Herausgeber: ‎Lübbe
  • erschienen am 29. Februar 2024
  • Gebundene Ausgabe: ‎432 Seiten
  • ISBN-13: ‎978-3757700386

Das Rezensionsexemplar wurde mir vom Lübbe Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. Meine Meinung hat es nicht beeinflusst.

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