Drei Tage im August von Anne Stern
Berlin, 1936. Die Welt schaut auf Berlin. Die olympischen Spiele finden gerade im neuerrichteten Olympiastadion statt. Elfie würde das Treiben auch gerne einmal aus nächster Nähe ansehen, findet allerdings keine Zeit, zu einem Wettkampf zu gehen. Sie arbeitet in der Chocolaterie Sawade. Zwischen Schokolade und Vanilleduft beobachtet sie die Veränderung der Zeit. Nebenbei besucht sie eine betagte Kundin, die ihr die Entstehung der Schokoladenmanufaktur näherbringt. Es sind Tage, in der sich Menschen für einen Weg entscheiden müssen.
Anne Stern versetzt die Leser in diesem Roman in eine Zeit, in der die Greueltaten der Nationalsozialisten eine kurze Pause einlegten, um der Welt eine scheinbare Sicherheit vorzugaukeln. In den Geschäften der Prachtstraße Unter den Linden beäugte man das Weltgeschehen teilweise kritisch, teilweise glaubte man der Propaganda. Dargestellt wird das mit der Figur des Buchhändlers, der die Zeichen der Zeit erkennt und sich in Sicherheit bringen möchte. Es ist eine Zeit, in der man keinem mehr vertrauen darf, sodass eben auch Menschen, die einem nahestehen, mit den vollendeten Tatsachen verletzt werden. Es gibt aber auch die Menschen, die sich in dieser Zeit erst den anderen öffnen. Madame Conte spürt, dass ihr Ende nahe ist und will ihre Geschichte unbedingt noch jemanden erzählen. Gleichzeitig wirkt dieser sich über mehrere Gespräche erstreckende Strang als Rahmenhandlung. Er zeigt eine vergangene Zeit und wie gegensätzlich die Gesellschaft im Verlauf von nur wenigen Jahren war.
Die Autorin nutzt einen leisen Erzählstil, um diese bewegende Geschichte zu erzählen. In der Chocolaterie findet man Ruhe und etwas wie Normalität in diesen Zeiten. Ein historischer Roman muss die Zeit so einfangen, dass der Leser einen Eindruck gewinnt, wie es für die Betroffenen angefühlt hat. 1936 konnte man allenfalls in Teilen ahnen, was auf das Land und die Menschen zukommt. Zur Zeit der Olympiade waren noch einige Ausländer in Berlin, die ganz andere Nachrichten gelesen hatten. Auch dieser Aspekt fließt glaubhaft mit ein. Die Charaktere agieren absolut lebendig vor der historischen Kulisse. Würden die Linden uns etwas erzählen können, wäre es vermutlich genau diese Geschichte.
Anne Stern präsentiert in diesem kleinen Ausschnitt eine Welt, die inzwischen als Ruhe vor dem Sturm angesehen werden kann. Es war für viele die letzte Möglichkeit, sich über die Grenzen des Landes in Sicherheit zu bringen. Als im August 1936 die Olympischen Spiele beendet wurden, ahnte die Bevölkerung nicht, was sie zwei Jahre später erwarten würde. Die Beobachtungen der Figuren vermitteln dem wissenden Leser allerdings ein überdeutliches Bild. Es ist eine Glanzleistung, diesen schmalen Grat verbal zu zeichnen, dass man beim Lesen das grauenvolle Bild vor Augen hat, ohne die laute Gewalt explizit zu erwähnen.

Anne Stern, geboren 1982, ist Historikerin und promovierte Germanistin. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie in Berlin. Sie arbeitete als Lehrerin und in der Lehrerbildung und schrieb zunächst erfolgreich als Selfpublisherin. Ihre Romane um die Hebamme „Fräulein Gold“ wurden zu Spiegel-Bestsellern. Während ihrer Recherchen stieß Anne Stern auf die Berliner Pralinenmanufaktur „Sawade“ und die bewegte Historie der Prachtallee Unter den Linden, und schon bald ging es für sie nicht mehr nur um einen Konfektladen, sondern um eine Geschichte von der Kraft der Phantasie und der Schönheit in dunklen Zeiten – und um eine außergewöhnliche Frau. „Drei Tage im August“ ist Anne Sterns erster Roman bei Aufbau. (Quelle: Aufbau Verlag)
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- Herausgeber: Aufbau Taschenbuch
- erschienen am 5. August 2022
- Taschenbuch: 352 Seiten
- ISBN-13: 978-3746639987
Das Rezensionsexemplar wurde mir vom Aufbau Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. Meine Meinung hat es nicht beeinflusst.
Ein Gedanke zu “Als sich die Welt noch in Sicherheit wähnte”