Zur See von Dörte Hansen
Auf Driftland, einer fiktiven Insel in der Nordsee, lebten die Menschen schon immer von dem, was die See ihnen gibt. Es ist ein hartes Leben, verglichen mit dem auf dem Festland. Die See gibt und nimmt. Das Wetter ist nicht immer so, wie es im Urlaubsprospekt ausschaut. Die Kälte lässt sich manchmal nicht mal mehr mit einem warmen Pulli oder Tee vertreiben. Dennoch zieht es die Menschen immer wieder ans Meer. Sie finden Ruhe darin, auf die endlose Weite zu schauen mit den Wellenbewegungen. Touristen genießen es, in den kleinen mit Reet gedeckten Häusern ihren Urlaub zu verbringen. Nach dem Sommer bleiben nur noch diejenigen auf der Insel, die dort schon immer wohnen. Sie sind die Hauptfiguren in Dörte Hansens dritten Roman.
Das Ehepaar Hanne und Jens Sander hat drei Kinder. Rykmer, der älteste Sohn, ist zur See gefahren, bis er sein Kapitänspatent verlor. Der Jüngste, Henrik, bleibt lieber an Land. Er ist Künstler und fertigt Unikate aus Treibholz. Seine Schwester Eske möchte die Insel am liebsten ganz verlassen. Sie nimmt sich alljährlich eine mehrwöchige Auszeit und hat dabei ein schlechtes Gewissen. Das Leben scheint in den wenigen Wochen um so vieles leichter. Aber sie kehrt auch jedes Mal zurück. Sie ist, wie die ganze Familie, mit der Insel verbunden. Das Gefühl von Heimat wird nicht explizit geschrieben, sondern als Empfinden transportiert. Hansen schafft es, dass man das Inselleben mit den Augen eines Einheimischen sieht. Die Verklärung der Sommergäste wird zur Seite geschoben und zurück bleiben die unwirtlichen Lebensbedingungen.
Leseprobe
Familie Sander scheint auf den ersten Blick überhaupt nichts gemeinsam zu haben. Jens lebt seit 20 Jahren auf einer Vogelwarte, während Hanne versucht, allen ein Zuhause zu geben. Wenigstens ihr Jüngster sollte doch umsorgt werden, weswegen sie ihm jedes Jahr zum Geburtstag einen warmen Pulli strickt. Zwischen den fünfen fehlt ein klärendes Gespräch. Das Schweigen ist nicht entspannend, sondern wie ein unterschwelliger Groll. Fast kommt es einem so vor, als seien alle auf die Insel böse, die ihre Lebensträume vereitelt. Wie der Wal scheint auch die Insel an Land nicht lebensfähig zu sein. Die Sanders wollen zwar in ihrer Heimat leben, aber sie suchen auch eine Erfüllung an einem anderen Ort. Dieser Zwiespalt wurde greifbar und trägt vielleicht auch dazu bei, sorgsamer beim nächsten Inselurlaub mit der Umwelt umzugehen.
Hören statt lesen
Dörte Hansen macht in ihrem dritten Roman das Leben auf einer Nordseeinsel zum Mittelpunkt. Aus verschiedenen Blickwinkeln werden Wünsche und Bedürfnisse der Familienmitglieder dargestellt. Das ungekürzte Hörbuch wird von Nina Hoss gesprochen. Sie lässt mit ihrer Erzählstimme ein Bild vor dem inneren Auge entstehen. Unaufgeregt folgt man den Gedanken der Figuren und kann ihre Haltung zu Tourismus und Lebensgrundlagen verstehen. Der Wandel der Zeit erfordert es, dass sich auch die Menschen anpassen. Der Vortrag lässt ein bisschen melancholische Stimmung aufkommen, aber gleichzeitig auch pragmatische Gedanken. Jo, good fertellt. Friesisch heißt das wohl, es ist ein Hörtipp.
Hörprobe

Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, arbeitete nach ihrem Studium der Linguistik als NDR-Redakteurin und Autorin für Hörfunk und Print. Ihr Debüt »Altes Land« wurde 2015 zum »Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels« und zum Jahresbestseller 2015 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Ihr zweiter Roman »Mittagsstunde« erschien 2018, wurde wieder zum SPIEGEL-Jahresbestseller und mit dem Rheingau Literatur Preis sowie dem Grimmelshausen Literaturpreis ausgezeichnet. 2022 erschien ihr dritter Roman »Zur See«. Dörte Hansen, die mit ihrer Familie in Nordfriesland lebt, ist Mainzer Stadtschreiberin 2022. (Quelle: Penguin Randomhouse)
#Anzeige#
- Herausgeber: Random House Audio
- erschienen am 28. September 2022
- ISBN-13: 978-3837160680
- Ungekürzte Lesung, Laufzeit: 420 Minuten
- Gelesen von Nina Hoss
Das Rezensionsexemplar wurde mir vom Random House Audio über Netgalley.de zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. Meine Meinung hat es nicht beeinflusst.
Zur See von Dörte Hansen ist für den Deutschen Hörbuchpreis 2023 in der Kategorie „Beste Interpretin“ nominiert.