Totenreich von Michael Jensen
Flensburg, Juli 1945. Der Zweite Weltkrieg ist seit zwei Monaten beendet. Das Deutsche Reich ist unter den Alliierten in Besatzungszonen aufgeteilt. Der ehemalige Polizeiinspektor Jens Druwe ist nach dem Mord an zwei britischen Offizieren inhaftiert. Sein Anwalt kann erwirken, dass sein Mandant aus Notwehr gehandelt hat. Allerdings war Druwe auch an einem Kriegsgeschehen in Polen involviert, bei dem 200 Menschen ihr Leben lassen mussten. Die Frage, ob jemand, der zwar nicht geschossen, aber anderen dazu den Befehl gegeben hat, schuldig ist, muss vor Gericht geklärt werden. Druwe wird zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Verlobte Eva ist schwanger. Er wird ihr weder bei der Geburt beistehen können, noch die ersten Jahre seiner Kinder miterleben. Plötzlich erhält der verurteilte Kriegsverbrecher das Angebot, im Gefängnis Informationen für den britischen Geheimdienst zu sammeln. Unter den Häftlingen sind Größen der ehemaligen Diktatur, die für das Töten von Millionen Menschen in den Konzentrationslagern verantwortlich sind. Wird Druwe entdeckt, befindet er sich hinter Gittern in größerer Gefahr als außerhalb.
Michael Jensen führt die Geschichte um Jens Druwe mit diesem dritten Band der Trilogie fort. Nur wenige Wochen liegen zwischen dem Ende von Totenwelt zu Totenreich. Der ehemalige Kriminalkommissar hat sich wegen des Mordes an zwei britischen Offizieren zu verantworten. Auch wenn dieser Fall als Notwehr entschieden wird, muss sich Druwe wegen der Beteiligung zum Massenmord in Polen verantworten. Jensen nutzt hier den Twist, um auf sein eigentliches Thema zu kommen: Wie schuldig sind Befehlsgeber im Krieg und welche Möglichkeiten hatten sie, um sich vor der Verurteilung zu schützen? Bekannt sind die Freitode der NS-Größen wie Göring, Himmler, Göbbels und dem Führer selbst. Im Buch geht es eher um die untergeordneten Ränge. Es gab jede Menge Kriegstreiber, die aus der Not anderer Profit schlugen und nun zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Viele konnten aufgespürt werden, einige andere flüchteten über die sogenannte Rattenlinie nach Südamerika. Noch viele Jahre nach Kriegsende hörte man von Anklagen gegen Lageraufseher und Buchhalter. Der Krieg war eben nicht für alle am 8. Mai 1945 beendet.
Blick hinter die Kulissen
Die Figuren wurden für diese Trilogie sorgsam ausgewählt. Es hat jeder seine Rolle, die gleichzeitig auch zulässt, dass seine vordergründige Motivation vorgetäuscht ist. Die Alliierten waren sich keinesfalls so einig, wie man meinen sollte. Sie teilten sich in die Westmächte und Stalin auf. Jeder einzelne von ihnen nahm sich aus dem gefallenen Deutschland, was er am besten gebrauchen konnte. Von daher ist es nun nachzuvollziehen, wie sich ein großangelegtes Spionagenetz entwickeln konnte. Die Geschichte des besiegten Deutschlands, die viele nur aus Erzählungen kennen, wird in farbigen Grautönen skizziert. Mittendrin ist Jens Druwe, der für seine Taten leidet, aber eben auch die Möglichkeit bekommt, durch Weitergabe von Informationen seine Haft zu verkürzen. Druwe ist nicht nur Täter, sondern auch Vater, Ehemann und Mensch. Er zeigt auf, mit welchen Konsequenzen er zu rechnen hatte, wenn er sich aufgelehnt hätte. Der psychologische Druck ist sichtbar und eben auch die Reue. Es wird nichts beschönigt oder relativiert, sondern für unsere Generation die möglichen Gründe für ein Mitmachen aufgezeigt. Aus heutiger Sicht ist die Frage, wie man selbst reagiert hätte, kaum noch zu beantworten. Es gehört viel Empathie dazu, die damalige Generation nicht über einen Kamm zu scheren. Von daher bekommen alle drei Teile eine Leseempfehlung in Bezug auf Zeitgeschichte.
Die Handlung beschränkt sich in der Zeit zwischen dem 8. Mai 1945 bis zum 23. Mai 1949. An diesem Tag wurde unser heute noch geltendes Grundgesetz verabschiedet und die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Jens Druwe schaut in eine neue Zukunft. Die Geschichte bekommt eigentlich einen akzeptablen Rahmen. Dennoch würde ich jetzt gerne lesen, wie sich die Kommissariate unter den neuen Bedingungen entwickelt haben. Das wäre die Chance, auch Manuelas fehlende Spannung zu kompensieren. Während ich aus historischer Sicht keine Mängel feststellen konnte, fehlt ihr die Ermittlungsarbeit (die vollständige Rezension findet ihr im Bücherhaus). Für mich sind genügend Verbrecher involviert und die Guten, die ebendiese dingfest machen. Von mir bekommt die Trilogie eine unbedingte Leseempfehlung.
Im zweiten Teil des Podcasts erzählt Michael Jensen unter anderem, welche Buchprojekte er als nächstes umsetzt.

Michael Jensen wurde 1966 im Norden Schleswig-Holsteins geboren. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg und Flensburg. Im Hauptberuf ist er als Arzt und Therapeut tätig. Seine beruflichen Erfahrungen hat er in zwei Sachbüchern zusammengetragen. Dabei interessieren ihn besonders die seelischen Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs, vor allem bei den Nachkommen von Opfern und Tätern. Für sein literarisches Schreiben hat er ein Pseudonym gewählt. (Quelle: Aufbau Verlag)
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- Herausgeber: Aufbau Taschenbuch
- erschienen am 19. Juli 2021
- Taschenbuch: 448 Seiten
- ISBN-13: 978-3746637808
Das Rezensionsexemplar wurde mir vom Aufbau Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. Meine Meinung hat es nicht beeinflusst.