Clevere Ermittler in sehenswerter Umgebung
Liebgewonnene Charaktere möchte man am liebsten niemals mehr loslassen. Umso besser, wenn sie in Serien in regelmäßigen Abständen mit neuen Erlebnissen zu lesen sind. Noch besser ist es, wenn diese Charaktere dabei einen kniffligen Kriminalfall lösen. Klingt das schräg? Nein, überhaupt nicht. Über die Faszination von Krimiserien habe ich mir gemeinsam mit Ulla von Ullas Bücherseite Gedanken gemacht. Unter verschiedenen Aspekten haben wir 30 Serien betrachtet und stellen diese in den nächsten zwei Wochen vor.
Krimiserien üben aus verschiedenen Gründen eine Faszination aus. Gerade wenn sich eine Reihe über mehrere Bücher erstreckt, lernt man die Figuren intensiv kennen. Man „erlebt“ ihre Geschichte in vielen Facetten und kann in folgenden Büchern nachvollziehen, welche Gefühle vermutlich ausgelöst werden. Allerdings verrät ein Muster beim Aufklären der Fälle auch meist schon, in welche brenzlige Situation der Ermittler vermutlich kommen wird. Die Wendungen im Handlungsverlauf müssen mit ansteigenden Buchbänden spektakulärer werden. Eine Ermittlerin wie Agatha Raisin lernt von Fall zu Fall ein bisschen mehr über Kriminalistik dazu und kann ab Band 15 sogar eine Detektei eröffnen. Andere Figuren kehren immer wieder in ihren eigentlichen Wirkungskreis zurück. Pippa Bolle hütet zwischenzeitlich in atemberaubenden Gegenden Häuser, Sarah erstellt in Cherringham Webseiten und Lizzy Martin sollte als Ehefrau im viktorianischen London eigentlich gar nicht ohne ihren Mann vor die Tür gehen. Zum Glück lassen sich diese Privatermittler gerne in ihren Alltagsbeschäftigungen ablenken.
Es gibt aber noch die Profis in den Krimiserien wie Adam Danowski, der als Kommissar in Hamburg für Ordnung sorgt. Dabei findet er sich an den ungewöhnlichsten Orten wieder wie die Kapsel eines Windrades oder auch in den tiefen Kellern einer Schule. Sein französisches Pendant Albin Leclerc steht nach jahrzehntelanger Arbeit als Kommissar im Ruhestand beratend zur Seite. Sein ehemaliges Kommissariat in der Provence hat Personalmangel, sodass sich der clevere Rentner immer wieder mit Mops Tyson in die Ermittlungen einmischen darf. Thies Detlefsen nimmt in seiner Polizeidienststelle im fiktiven Fredenbüll eine Sonderstellung ein. Er leitet zwar eine Dienststelle, löst seine Fälle aber mit tatkräftiger Unterstützung der Einheimischen, die sich auch gerne an den beiden Stammtischen der Hidden Kist beratschlagen. Jeden Protagonisten lernt man im Verlauf der Serie auch von der privaten Seite kennen. Sobald ein neuer Fall erscheint, ist es wie ein Wiedersehen mit alten Bekannten.
Notwendige Merkmale

Krimiserien sollten für mich nicht allzu blutig sein. Natürlich gehört ein Verbrechen zur Handlung, aber dabei sollte das Blut nicht an der Wand herunterlaufen oder die Tat durch die Worte farbig im Kopfkino erscheinen. Die klassischen Whodunnits, wie sie bereits Agatha Christie schrieb, reichen mir vollkommen aus. Beispiele sind hier wieder Agatha Raisin, die wie eine moderne Miss Marple scheint, Sarah und Jack aus Cherringham und auch Tante Poldi taucht immer erst auf, wenn der Täter längst räumlichen Abstand zur Tat hat. Die Ermittlungsarbeit im Ausschlussverfahren, die mich dann auch noch auf falsche Fährten führt, ist der Lesespaß. Manchmal darf es aber auch eine Schippe mehr sein. Die sogenannten Schweden-Krimis finde ich dann ganz ansprechend. Thomas Andreasson folge ich dann gerne in den Schärengarten oder auch gerne Erica Falck bis nach Fjällbacka. Die beiden Serien sind ebenfalls klassische Krimis, die auf Kopfarbeit setzen und ohne Gemetzel auskommen.
Für die Beiträge rund um Mörderisch unterwegs haben Ulla und ich mit fünf Autoren von Krimiserien gesprochen. Zu hören sind
- Neil Richards und Matt Costello (Cherringham und Mydworth),
- Ulrike Busch (Nord- und Ostseekrimis)
- Pierre Lagrange (Provence-Serie)
- Petra Schier (Mila Roth)
Die Fragen wurden zu den Charakteren und deren Entwicklung und dem Spannungsaufbau gestellt. Da Neil und Matt in ihrer Muttersprache Englisch antworten und wir euch nicht zu sehr strapazieren wollten, haben wir in diesem Podcast nur die prägnanten Aussagen eingefügt und das vollständige Gespräch als weiteres Highlight am 4. Juli eingeplant.

Bei den Charakteren bevorzuge ich diejenigen, die mir erscheinen, als könne ich sie auch in meiner realen Umgebung um mich haben. Adam Danowski wohnt ja sogar in meiner Gegend, sodass ich dem Kommissar vielleicht schon in der U-Bahn begegnet sein könnte oder beim Einkaufen. Aber auch Frida Paulsen aus der Elbmarsch kann ich mir gut als reale Figur vorstellen und sogar Ben Kitto auf den Scilly-Inseln. Sie haben alle Züge an sich, die sie lebendig erscheinen lassen. Sie sind keine Zauberer und ihnen fällt auch nicht alles in den Schoß. Vielmehr zeichnet sie aus, dass sie Hürden überwunden haben und sich eben nicht unterkriegen lassen im Kampf gegen die Mörder in ihren Fällen und sogar gegen ihre eigenen Ängste. Die Frage, wie man selbst entscheiden würde, stellt sich dabei und regt an, mal über den Tellerrand zu schauen. Leser sollen ja auch empathischer sein als Nichtleser. Derartige Fähigkeiten werden in diesem Genre häufig trainiert.
Einfluss der Idylle auf Lesegewohnheit

Krimiserien haben den Vorteil, dass die Autoren für die Beschreibung der Umgebung der Kommissariate mehr Raum bekommen. Je nachdem, ob der Ort fiktiv ist oder auch in der Realität aufgesucht werden kann, sind natürlich andere Dinge zu entdecken. In Cherringham geht man abends ins Ploughman’s und wenn eine Leiche unter einer Brücke gefunden werden muss, ist diese schnell beschrieben. Auch in Fredenbüll ist der Phantasie keine Grenze gesetzt. Inspektor Andreasson oder Lyn Harms haben es da schon schwieriger. Ortskundige Leser entlarven die Fehler in der Topografie sofort. Mich stört das in der Regel weniger, wenn plötzlich eine aus dramaturgischen Gründen versetzte Kreuzung auftaucht oder ein Waldgebiet eigentlich nur aus drei Bäumen besteht. Ich fühle mich beim Lesen auch in veränderter Umgebung wohl und achte nur auf die Spannung. Störend finde ich es eher, wenn Figuren in Hamburg Straßenbahn fahren, zu einer Zeit, in der es keine gibt. Je idyllischer die Umgebung, desto unblutiger sollte für mich aber auch der Mord sein. Außerdem greife ich eher zu einem Krimi, wenn mir die Region bekannt ist. Die Nordsee liegt da ganz vorne, oder auch London, wobei mir dabei auch die britische Kultur wichtig ist. Dafür liest man schließlich einen Regionalkrimi.
Serien üben also eine ganz bestimmte Faszination auf mich aus. Normalerweise lese ich möglichst zwei Bände hintereinander. Wenn die Krimis weniger Seiten haben – wie beispielsweise die Serien der Dranbleiber – dann können auch mal drei Bände inhaliert werden. In Cherringham verweilt man ja nur einen Lesetag, sodass man sich auch ein verlängertes Wochenende gönnen kann. Die Figuren sind dann geläufig und man will ja auch wissen, wie es weitergeht. Wenn sich die Figuren wie bei Pippa Bolle allerdings nicht immer an derselben Stelle aufhalten, kann ich mir beim Lesen ebenfalls eine Pause gönnen und bis zum nächsten Erscheinungstermin warten. Aber nun spreche ich ja schon ein ganz anderes Thema an und kündige lieber den Beitrag bei Ullas Bücherseite an, die sich ebenfalls ihre Gedanken gemacht hat.
Ermittler unter der Lupe
In den Krimiserien ermitteln nicht nur Profis, sondern auch diejenigen, die sich brennend für Morde interessieren, bereits ihr Berufsleben hinter sich haben oder ganz zufällig auf Verbrechen stoßen, während sie ihren eigentlichen Aufgaben nachgehen. Von den Profis erwartet man natürlich auch im fiktiven Roman, dass sie plausible Strategien verfolgen.
Ben Kitto kehrt im Auftakt der Serie aus London in seine alte Heimat auf den Scilly-Inseln zurück. Der Plan des Detective Inspectors ist es, zur Ruhe zu kommen und die Ereignisse in der britischen Hauptstadt hinter sich zu lassen. Es wäre ziemlich langweilig, wenn ihm das gelänge. Viel Zeit, seinem Onkel Ray beim Bau eines Bootes zu helfen, bleibt nicht. Ein Teenager ist verschwunden und Ben nimmt sich den Ermittlungen an. Die Inseln sind zwar nur wenig bevölkert, dennoch kommt bei den Gesprächen ein unglaubliches Geheimnis ans Licht. Ben gehört nicht mehr zu den Eingeweihten. Er war schließlich einige Jahre weg, aber irgendwie ist er eben auch kein Tourist. Durch seine Erfahrung erkennt er sofort, wenn ein Verbrechen vorliegt.

Ebenfalls ein Profi ist Adam Danowski. Der Charakter ist sperrig angelegt und man kann nie voraussagen, wie er sich entscheiden wird. Er ist in Hamburg in der Operativen Fallanalyse tätig und stolpert sogar in seiner Freizeit über Verbrechen. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter, für die er immer nur das Beste will. Seine selbstkritischen und zum Teil melancholischen Gedanken machen ihn aber auch sympathisch. Gemeinsam mit seinem Kollegen Finzi ist er ein wahres Dream-Team.
Frida Paulsen und Bjarne Haferkamp sind ebenfalls in der Kategorie Profi einzuordnen. In den Krimis von Romy Fölck ermitteln sie in der Elbmarsch. Der wenig besiedelte Landstrich süd-östlich von Hamburg punktet mit unglaublichen Verbrechen, deren Täter keine Zuschauer haben wollen. Es wird in Scheunen gemordet oder die Opfer langsam im Schlick des Elbufers versenkt. Die Einsamkeit täuscht ein wenig über die Grausamkeit hinweg. Das ist übrigens im fiktiven Fredenbüll genauso. Eigentlich ist der Ort so klein und verschlafen, dass man da keine Organisationen wie die Mafia vermutet. Dennoch hat Thies Detlefsen immer wieder mit den ganz schweren Jungs zu tun. Die Besucher von Antjes Hidden Kist stehen bei der Ermittlungsarbeit in der ersten Reihe.
Mehr Empathie gewinnen natürlich die selbsternannten Detektive, oder gar jene, die wider Willen in eine Sache einbezogen werden. Tante Poldi suchte kurz vor ihrem 60. Geburtstag auf Sizilien einfach nur eine neue Heimat, um gepflegt aus dem Leben zu scheiden. Sie hat nicht damit gerechnet, auf so viel Trubel zu stoßen. Das kleine Dorf muss vor einigen Betrügereien geschützt werden und immer wieder verschwinden Menschen. Für philosophische Gespräche hat sie den Tod, dem sie allerdings auch immer noch ein paar Weisheiten auf den Weg gibt. Auch Pippa Bolle ist eigentlich Übersetzerin, die gelegentlich auch Häuser hütet. Wenn sie mit vergifteten Lebensmitteln zu tun bekommt und herausfinden muss, wer dahintersteckt, drückt man ihr schon wegen der fehlenden Hilfsmittel die Daumen.
Agatha Raisin hatte in London eine eigene PR-Agentur, bis sie sich im Alter von 50 Jahren zur Ruhe setzen wollte. Die Cotswolds schienen ihr geeignet, den Stress der Großstadt hinter sich zu lassen. Aber gleich im ersten Band wird sie in einen Mordfall verwickelt, weil jemand von ihrer vergifteten Quiche gegessen hatte. Dabei hatte Agatha die Köstlichkeit gar nicht selber hergestellt. Mit diesem Vorfall lernt sie nicht nur ihren Nachbarn James besser kennen, sondern entdeckt auch ihre Vorliebe für Ermittlungen. Agatha wurde in den 90-er Jahren als Original veröffentlicht. Auf Technik, die uns heute so normal vorkommt wie ein linker Arm, musste sie weitgehend verzichten. Dafür hat auch nicht jeder ein elektronisch gesichertes Schloss, sodass sie mit Hilfsmitteln aus der Drogerie fast überall Zutritt erhält.
Albin Leclerc wird als älterer Jean Gabin beschrieben. Der rüstige Rentner war sein Leben lang Kommissar und wird nun, nachdem er sich sowieso immer in die laufenden Ermittlungen eingemischt hat, als polizeilicher Berater hinzugezogen. Seine Erfahrung ist dem jungen Team immer hilfreich. Außerdem ist Albin samt Mops eine perfekte Tarnung, wenn mal wieder irgendwo undercover ermittelt werden muss. So belegt er zum Beispiel Kochkurse oder informiert sich über Wellness, um sich ungestört an potentiellen Tatorten umzuschauen. Er ist gewitzt und hat manchmal einfach Dusel, dass es ihn nicht trifft.
Andere Zeiten – andere Möglichkeiten
Eine weitere Kategorie nehmen die historischen Krimis ein. Technik in den Ermittlungen wurde erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hinzugezogen. Vorher kamen Unholde oft ungesehen davon. Man brauchte also Fachkräfte wie die Apothekerin Serafina, um die Wirkung mancher Pflanzen zu erkennen oder jemanden wie Lizzy Martin, die neugierig genug ist, auch mal in dunkle Ecken zu gucken und sich gleichzeitig in der oberen Gesellschaftsschicht bewegen kann. Diese Figuren sammeln einfach Sympathien und man folgt ihnen immer wieder gerne, wie Lord und Lady Mortimer aus der Mydworth-Serie. Sie bewegen sich in den späten 20-er und 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts. In London gab es damals tatsächlich noch vierstellige Telefonnummern, wie Matt Costello im Podcast erzählt. Die historischen Serien haben es mir außerdem so angetan, weil sie zwar nicht weniger blutig wie ihre zeitgenössischen Pendants sind, aber eben alles so weit weg erscheint. Verbrannte Leichen und abgeschlagene Köpfe verursachen mir weit weniger schlaflose Nächte als in einem Splatter-Roman.
In Mörderisch unterwegs geht es um Krimiserien, die zum einen spannende Unterhaltung bieten, aber auch schöne Gegenden beschreiben, die man gerne besuchen würde. Abwechselnd werden wir über 30 Serien mit ihren Besonderheiten vorstellen. Diese Beiträge folgen in den nächsten zwei Wochen:
- England
- Europa
- Deutschland
- historische Serien
- Gegenwart
be.books unterstützt diese Aktion mit insgesamt 30 E-Book-Links aus den Dranbleiber-Serien, die wir als Tagespreis und im Anschluss an die Aktion als Bundle verlosen werden. Die Antwort auf die Tagesfrage auf dem Facebookaccount ergibt sich aus den vorgestellten Serien. Zusätzlich wird in den jeweiligen Blogartikeln pro Tag ein Buchstabe bekannt gegeben, die zusammengesetzt einen Slogan ergeben.
Am 8. Juli habt ihr alle Informationen für das Gewinnspiel zusammen. Dranbleiben lohnt sich also auch bei uns.
Einen weiteren Beitrag zum Thema „Mörderisch unterwegs“ lest ihr in Ullas Bücherseite. Sie nimmt ebenfalls spannende Krimiserien und ihre Ermittler unter die Lupe.

2 Gedanken zu “Mörderisch unterwegs”