Klaras Schweigen von Bettina Storks
Miriam hängt sehr an ihrer Großmutter. Ihre Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen als sie erst zwei Jahre alt war. Seitdem sorgte ihre Großmutter Klara für sie. Nun hatte Klara einen Schlaganfall. Nur undeutlich kommen ihr die Worte über die Lippen und dann auch noch auf Französisch. Miriam versteht allerdings, dass sie Pascal suchen soll. Diese Aufforderung deckt ein langgehütetes Familiengeheimnis auf, das bis in die französische Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreicht.
Bettina Storks fügt erneut zwei Zeitebenen zu einer geheimnisvollen Familiengeschichte zusammen. Klaras Schweigen erzählt von der Zeit nach Kriegsende in Freiburg im Breisgau und Konstanz. Für Deutschland war der Krieg verloren und die Bevölkerung lebte unter Aufsicht der Alliierten zwischen den Trümmern ihrer Stadt. Klara wohnte gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester Lotte in einem Haus, das der Vater von einem flüchtenden Juden abgekauft hatte. Arbeit fand sie in einem kleinen Lebensmittelladen, wo sie auch Pascal kennenlernt. Der Fahrer eines hochrangigen Militärs und die junge Frau verlieben sich trotz Fraternasierungsverbot ineinander. Diese Liebe blieb nicht ohne Folgen. Vater Friedrich verbot ihr, weiterhin bei ihnen zu wohnen, was nach der damaligen gesellschaftlichen Auffassung plausibel war. So kam Klara zu Verwandten nach Konstanz und begann eine Schneiderlehre. Die junge Frau lernte bald ihren späteren Mann Edi kennen und wurde mit ihm glücklich. Das Paar hatte bald Tochter Henriette und zog zurück nach Freiburg. Aus Miriams Sicht war es sogar nach dem Tod ihrer Eltern immer ein ganz normales Familienleben, weil Klara über 70 Jahre schwieg.
Gehen Zusammenhänge verloren, wenn wir sie nicht weitergeben?
Die Figuren wurden der Zeit angepasst. Man kann sich bildhaft vorstellen, wie die Bevölkerung sich dem Wechsel des Regimes anpasste. Nachdem Freiburg durch Bombenangriffe zu großen Teilen zerstört war, war man froh, dass diese Gefahr vorüber war. Lebensmittel und andere Notwendigkeiten des täglichen Lebens waren knapp. Zudem war man als Deutscher gebrandmarkt, die unmenschlichen Taten des Krieges unterstützt zu haben. Friedrich stellt dabei eine tragische Figur dar. Der angehende Jurist bekam keinen Abschluss und nach dem Krieg keine Arbeit, die seine Familie ernährt hätte. Über zwölf Jahre folgte der Soldat einer Ideologie, die nun verpönt wurde. Zumindest in seiner Familie wollte er als Oberhaupt anerkannt werden. Dass sich die Zeit gerade in den 50-er Jahren rasant änderte, brachte in vielen Familien ebendiese Probleme mit sich. Je tiefer sich Miriam in die Familiengeschichte einfindet, desto deutlicher wird die Aufarbeitung der Beteiligung des Dritten Reichs. Das Empfinden zwischen Deutschen und Franzosen wird greifbar.
Mit Bettina Storks habe ich ein Interview geführt über Freiburgs Geschichte in der Besatzungszeit, das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg und natürlich, was sie an Frankreich so fasziniert. Mehr als 20 Minuten des Gesprächs könnt ihr ebenfalls anhören.
Eine besondere Stärke dieses Romans ist die Beschreibung der Umgebung. Man findet sich sowohl in Freiburg zurecht als auch in St. Malo. Die bretonische Küstenstadt, die nach dem Krieg nach den alten Plänen wieder aufgebaut wurde, weckt dabei mit ihrer türkisfarbenen See ein wenig Fernweh. Fiktive Handlung wird auch hier mit realer Historie verbunden, sodass ein glaubwürdiges Handeln entsteht. Die Neugier wird immer wieder angefacht, weil neue Puzzleteilchen das Leben von Klara vervollständigen und eine neue Perspektive bieten. In 90 Jahren ist so viel passiert. Es gibt Ereignisse, die man gemeinsam erlebt hat und es gibt ein weiteres Leben, dass Klara sorgsam verschwiegen hat. Die Kapitel lassen den Leser Stück für Stück das Unbekannte entdecken und erhöhen damit die Spannung auf das Ende. Die Familiengeschichte erzählt dabei ein Stück Deutsche Geschichte, die noch längst nicht aufgearbeitet ist. Bemerkenswert ist diesmal der Anhang, den man auf keinen Fall vor dem Roman lesen sollte.
Bettina Storks fügt mit akribischer Recherche die wahre Historie in ihre fiktiven Familiengeschichten ein. Auf jeweils zwei Zeitebenen folgt man den Protagonistinnen auf den Spuren ihrer Vergangenheit und entdeckt dabei immer wieder Neues in den Deutsch-Französischen Beziehungen. Cet histoire m’a plaît beaucoup.

Bettina Storks, geboren bei Stuttgart, ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und Autorin. Sie war viele Jahre als Redakteurin tätig, bevor sie ihr erstes Buch veröffentlichte. Die Leidenschaft für Familiengeheimnisse und die Faszination für die deutsch-französische Geschichte vereint Bettina Storks immer wieder in ihren vielschichtigen Romanen. Die Autorin lebt und arbeitet am Bodensee. (Quelle: Randomhouse)
#Anzeige#
- Herausgeber: Diana Verlag
- erschienen am 8. März 2021
- Broschiert: 400 Seiten
- ISBN-13: 978-3453360471
Das Rezensionsexemplar wurde mir vom Diana Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. Meine Meinung hat es nicht beeinflusst.