Das Beste kommt noch von Richard Roper
Andrew sieht als Nachlassverwalter in London die wahren Umstände der Verstorbenen. Viele von ihnen hatten seit Wochen keinen Kontakt mehr mit anderen, bevor sie einsam starben. Mit seiner Kollegin Peggy prüft er dann, ob sich in den Hinterlassenschaften etwas findet, das entweder die Beerdigung finanziert oder welche Angehörigen informiert werden müssen. Sein Tagesgeschäft wäre für die meisten Leute deprimierend. Zum Glück kann er abends in ein liebevolles Zuhause mit Frau und Kinder zurückkehren. Das glauben jedenfalls seine Kollegen. Durch ein Missverständnis entstand nämlich vor einiger Zeit die Annahme, Andrew sei verheiratet und wohne mit seiner Familie in einem hübschen Haus. Als sein Chef sein Team mehr zusammenführen will und gemeinsame Essen in häuslicher Umgebung vorschlägt, gerät Andrew in Erklärungsnot. Die Wahrheit ist nämlich, dass er ganz alleine in einer schäbigen Einzimmerwohnung wohnt und sein einziger Kontakt eine Onlinegruppe für Modelleisenbahnen. Zu allem Überfluss droht auch noch sein Schwager, diese Lüge aufzudecken.
Richard Roper platziert Andrew als einen stillen Charakter mitten in eine turbulente Großstadt. Diese Umgebung lässt kaum vermuten, wie viele Menschen einsam sein könnten. Er hat sich mit seinen Gegebenheiten arrangiert, sodass er ganz zufrieden scheint. Plötzlich lernt er jedoch seine neue Kollegin Penny kennen, die etwas in ihn rührt. Sie kommen ins Gespräch und die Lüge um seine Familie ist ein offensichtlicher Vertrauensbruch. Andrew versucht mit einigen Anläufen, ihr seine tatsächliche Situation zu gestehen. Dann müsste er aber auch vor den anderen Kollegen zugeben, dass er sie jahrelang in diesem Irrglauben gelassen hat. Andrews Abwägen ist spürbar. Obwohl es keine Ich-Erzählung ist, hat man beim Lesen das Gefühl, selber einer seiner Vertrauten zu sein. Er weckt Sympathie, weil man ja weiß, dass er es niemals böse gemeint hat. Versteckt hinter seiner Distanz wollte er einfach den Anschein erwecken, auch er führe ein Leben wie die Mehrheit seines Umfeldes. Ohne es explizit anzusprechen, wird die gesellschaftliche Erwartungshaltung zur enormen Last.
Der Schreibstil ist enorm flüssig, sodass man temporeich durch die traurigen Themen Tod und Einsamkeit liest. Die Tonalität ist jedoch angemessen leise. Schritt für Schritt formt sich Andrews introvertierter Charakter. Der Mann trägt zudem die Last, sich nicht mehr mit seiner zu früh verstorbenen Schwester ausgesöhnt zu haben. Dass er dennoch ihr Erbe angenommen hat, grollt ihm sein Schwager. Man möchte den Protagonisten eigentlich in Schutz nehmen, weiß aber, dass auch dieser Handlungsstrang zu seiner Entwicklung gehört. Der Roman zeigt eine für eine Großstadt gar nicht mal ungewöhnliche Situation. Man lebt zwar inmitten von Millionen anderer Menschen, hat aber dennoch zu niemanden so viel Kontakt, dass man wegen des Charakters geliebt und respektiert wird. Vereinsamung muss keine bewusste Entscheidung sein; es kann auch eine Häufung unglücklicher Ereignisse dazu geführt haben. Der Appell, achtsamer miteinander umzugehen, wird unausgesprochen zwischen den Zeilen versteckt. Von daher ist das Debüt des britischen Autors eine wunderbare Gelegenheit, sich mit Tabuthemen zu beschäftigen und gleichzeitig ein herzerwärmendes Leseerlebnis zu haben.

Richard Roper arbeitet als Sachbuch-Lektor für einen großen Londoner Verlag. Niemals hätte er sich träumen lassen, dass sein Debüt-Roman bereits vor Erscheinen für Furore sorgen würde: Die nationalen und internationalen Verlage rissen sich förmlich um die Veröffentlichungsrechte, mit dem Ergebnis, dass „Das Beste kommt noch“ in 19 Ländern erscheint. Der überglückliche Autor lebt in London und schreibt an seinem zweiten Roman. (Quelle: Rowohlt Verlag)
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- Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
- Verlag: Wunderlich
- erschienen am 10. März 2020
- ISBN-13: 978-3805200448
- Originaltitel: Something to live for
Das Rezensionsexemplar wurde mir vom Rowohlt Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür. Meine Meinung hat es nicht beeinflusst.
Ein Gedanke zu “Mitten drin und doch allein”