Crime Day in Hamburg
Am Samstag, 1. Februar 2020, öffnete das St. Pauli Theater um 10 Uhr die Türen für einen ganzen Tag voller krimineller Unterhaltung. Über 500 Besucher drängten sich in den Innenraum und auf die beiden Ränge. Nach einer Begrüßung durch Astrid von Willmann (Randomhouse) und Guiseppe Di Grazia (Stern Crime) freuten sich alle auf ein ausgewogenes Programm zwischen Vorträgen, Diskussionen und Workshops.
Das Programm versprach Abwechslung, selbst wenn man die niedrigste Kartenkategorie gebucht hatte. Vier Kategorien gab es zur Auswahl, bei denen ein individuelles Programm zusammengestellt werden konnte. Alles konnte man schon allein zeitlich nicht miteinander kombinieren. Ich entschied mich für den Eintritt zur Hauptbühne mit zusätzlich einem Workshop. Weiterhin hätte man eine kulinarische Führung über die Reeperbahn bekommen können und abends die inszenierte Lesung mit den Schauspielern Ulrich Tukur und Christian Redl besuchen können.
Um 11 Uhr begann die Diskussion zwischen den Krimiautoren Charlotte Link und Andreas Gruber sowie True-Crime-Expertin Silke Müller zum Thema Zwischen Psychogramm und blutigem Grusel – was macht gute Spannung aus? Wer die Romane der Autoren kennt, ahnt sicher schon die unterschiedlichen Ansichten. Redakteurin Silke Müller hat im Gegensatz dazu immer mit realen Fällen zu tun, bei der die dichterische Freiheit eingegrenzt ist. Sie entscheidet daher, wie viel ungeschönte Wahrheit man dem Leser zumuten darf. Moderiert wurde die Runde von Guiseppe Di Grazia.
Diskussionen mit ungewöhnlichen Einblicken
Gleich im Anschluss wechselte Müller ihren Platz und moderierte ihrerseits das Thema Wie blutig darf es sein? Die Ästhetik von Gewalt im Kriminalroman. Teilnehmer waren Marc Elsberg, Elisabeth Herrmann und Art Director des Crime Magazins Felix Bringmann. Hier waren sich die Teilnehmer einig, dass Grausamkeiten ein gewisses Maß an Anschaulichkeit bieten müssen.

Eine Auflockerung nach dem verbalen Blutbad bekamen wir bei True Crime oder Fiction? Hier wurden uns vier Geschichten vorgetragen, bei denen hinterher abgestimmt wurde, ob sich die Handlung tatsächlich zugetragen hat, oder frei erfunden war. Elisabeth Herrmann und David Baum lasen die spannenden Fälle vor. Beide versuchten schon beim Vortrag, gekonnt falsche Fährten zu legen. Das Format wird übrigens in den USA regelmäßig gesendet.
Im Anschluss fragte David Baum Täter, Ermittler, Opfer – wer ist der wahre Held im Kriminalroman? Charlotte Link, Karsten Dusse und Sandra Cegla teilten uns ihre Meinung mit. Es ging um Sympathien und die Gefahr, Gewalt zu verherrlichen. Letztlich ist doch immer eine Straftat begangen worden, auch wenn die Gründe nachvollziehbar sind. Link arbeitet die Psychogramme ihrer Figuren detailliert aus, sodass man beim Lesen tatsächlich überlegt, wie man selbst in einer solchen Situation reagieren würde. Gespannt bin ich jetzt auf Dusses ersten Roman, in dem ein Anwalt achtsam mordet. Achtsamkeit habe ich bisher immer in einen anderen Zusammenhang gebracht.
Als Fan des gesprochenen Wortes war ich natürlich auch auf die Diskussion Wenn ein Buch sich verwandelt – Vom Roman zum Film, Podcast oder Hörspiel mit Elisabeth Herrmann, Andreas Gruber und Melanie Raabe gespannt. Oft habe ich nach dem Lesen eines Buches den dazugehörigen Film gesehen und verblüfft festgestellt, dass dort offenbar ein anderer Roman die Basis darstellt. Nun wissen wir, dass viele Dinge allein durch den Sendeplatz im Fernsehen geändert werden müssen.
Realität liefert Vorlage

Die Teilnehmer der Diskussion Wenn aus Fakten Fiction wird – welche Rolle spielt gesellschaftliche Realität im Kriminalroman? gaben einen ebenfalls beklemmenden Einblick in ihre Romanwelt. Marc Elsberg, Ellen Sandberg und Prof. Klaus Püschel von der Hamburger Gerichtsmedizin erläuterten, wie sie in der Realität Stoff für ihre Bücher fanden. Püschel brachte als Anschauungsobjekt einen menschlichen Schädel mit, den er aus einer Aufnahme als 3-D-Druck anfertigte.

Im Anschluss ließ ich mir Die Kunst der Vernehmung vom Münchner Mordermittler Josef Wilfling erklären. Der Leiter der Mordkommission a. D. plauderte locker über Fragetechniken und beeindruckte die Zuhörer mit „dann lass ich sie lügen so lange sie wollen“. Erfahrung sei in diesem Job das höchste Gut und die Aufklärungsrate bei Mord liege bei 95 Prozent. Diese guten Ergebnisse werden nur im Team erreicht. Wohl nur Inspector Columbo löst seine Fälle im Alleingang, gab der versierte Ermittler zu bedenken.
Als letzte Diskussion wurde Kommt ein Mörder zur Yogastunde – Trends im Kriminalroman angeboten. Krimis sind derzeit ein erfolgreiches Genre, weil sie gute Unterhaltung und eine befriedigende Auflösung böten, vertrat Melanie Raabe ihre Meinung. Marc Elsberg habe keinen Spaß am Weltuntergang, auch wenn seine Szenarien stark daran erinnern. Karsten Dusse sieht den Trend eindeutig im Ungewöhnlichen mit einer Prise Humor. Wir werden uns überraschen lassen.
Die Zusammenstellung der Vorträge, Workshops, Eat the World-Tour und der abendlichen Lesung mit Ulrich Tukur und Christian Redl waren perfekt aufeinander abgestimmt. Fiktive Kriminalität traf immer wieder auf die Realität, die oftmals sogar noch skurriler ist. Acht Stunden erscheinen zwar sehr lang, vergingen aber im Flug. Der Tag war informativ und ein Besuch absolut lohnenswert.
Nächsten Sonntag, 9. Februar 2020, findet der Crime Day in der Alten Kongresshalle in München statt.
Mir hat der Tag auch gefallen! Die Inhalte waren toll. Ich hätte mir vielleicht eine bessere Location gewünscht, wo man sich ein wenig mehr bewegen kann und auch mal zurück ziehen kann für Gespräche mit Bekannten/ Freunden. Würde aber wieder hingehen. 🙂
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